Für eine Prognose ist dies eine der schwierigsten Wetterlagen. Trotzdem schlafen Sie erholsam in Ihrem prächtigen Zimmer mit Blick auf den Pilatus.
Am nächsten Morgen begeben Sie sich in aller Frühe zum Wetterbüro. Zu Ihrem Entsetzen regnet es in der Westschweiz bereits. Auf der Dachterrasse betrachten Sie nachdenklich die geschlossene Wolkendecke einer Warmfront, die noch auf einer Höhe von ca. 4000 Metern liegt. Doch da entdecken Sie im Süden eine kleine blaue Wolkenlücke, ein sogenanntes Föhnfenster. Nicht ohne Risiko, aber optimistisch, erstellen Sie eine gute Wetterprognose für das hohe militärische Treffen und wollen dies umgehend dem Oberstdivisionär Iselin melden.
Als er Sie auf Ihr Klopfen hin auffordert, sein Zimmer – eines der schönsten des ganzen Hotels – zu betreten, bietet sich Ihnen ein seltsames, fast filmreifes Bild, das einer gewissen Komik nicht entbehrt: Sie, in Uniform, melden sich korrekt in Achtungstellung, während der eben dem Bett entstiegene Oberstdivisionär Iselin im Pyjama dasteht.
Scheinbar unbeeindruckt stellen Sie Ihre riskante Prognose: «Herr Oberstdivisionär Iselin, eine atlantische Störung hat bereits den Westen des Landes erreicht. Bei uns bleibt es meist bedeckt, unter leichtem Föhneinfluss wird jedoch vor elf Uhr kein Regen fallen.» Daraufhin entscheidet dieser trotz unpassen dem Tenü schnell und klar: «Herr Leutnant, teilen Sie dem Stabschef sofort mit, dass die militärische Veranstaltung auf dem Stanserhorn wie vorgesehen stattfindet.»
Zu Ihrer Erleichterung beginnt der Rapport pünktlich und kann, bei langsam absinkender Wolkendecke und trockener Witterung, kurz vor elf Uhr beendet werden. Erst während der Talfahrt, um zwanzig nach elf, fallen die ersten Regentropfen und ein Gewitter bringt auch hier das Ende der Schönwetterlage. Ihre riskante Wetterprognose aber ist geglückt. Ausgelassen trinken Sie zum Mittagessen im Schweizerhof einen guten Wein.
Der schwache, jedoch wirksame Südföhn, der den Beginn des Regens in der Region Luzern in der gewünschten Weise um einige Stunden verzögerte, und der Aufenthalt im Hotel Schweizerhof sind Ihnen bis heute, siebzig Jahre später, in eindrücklicher und schöner Erinnerung geblieben. Heute, mit 97 Jahren, sind für Sie die Worte des Dichters Jean Paul so wahr wie nie zuvor: